26

 

Bens Entführer hatten ihn sich selbst überlassen. Er saß in einem dunklen, fensterlosen verschlossenen Raum und wartete darauf, dass der auftauchte, den sie Meister nannten -  das namenlose, gesichtslose Individuum, das verdeckt die Entwicklung und Verteilung von Crimson finanzierte. Die Zeit tropfte zäh dahin; vielleicht waren schon vierundzwanzig Stunden vergangen, seit er aufgegriffen und hierhin verschleppt worden war. Bis jetzt hatte noch niemand nach ihm gesehen, doch das würden sie bald. In einem dunklen Winkel seines Verstandes wusste Ben, dass er die Konfrontation nicht überleben würde.

Er rappelte sich vom Fußboden hoch und schlich über den nackten Beton zur Stahltür hinüber. Sein Kopf dröhnte von den Schlägen, die er eingesteckt hatte. Seine gebrochene Nase und seine Halswunde waren blutverkrustet und brannten wie Feuer.

Ben legte sein Ohr an das kalte Metall der Tür und nahm draußen Bewegung wahr, die lauter wurde. Schwere, polternde Schritte kamen näher und näher, entschlossenes Stampfen von mehr als einer Person, deren harter Trittschall vom metallischen Rasseln der Ketten und Waffen begleitet wurde.

Ben wich zurück und verzog sich so tief er konnte in die Dunkelheit seiner Zelle. Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht; die Tür schwang auf, und die zwei riesigen Wachen, die ihn hierhergebracht hatten, kamen herein.

„Er ist jetzt bereit für dich“, knurrte eine der Gestalten.

Beide Männer packten ihn an den Armen und schoben ihn durch die Tür nach draußen in einen dämmrigen Durchgang.

Aufgrund der primitiven Unterkunft, in der er eingesperrt gewesen war, hatte Ben angenommen, dass er in einer Art Lagerhalle festgehalten wurde. Doch seine Entführer führten ihn eine Treppe hinauf, und was er dort erblickte, sah eher wie ein opulenter Landsitz aus dem neunzehnten Jahrhundert aus. Poliertes Holz glänzte in dezenter, eleganter Beleuchtung. Unter seinen dreckigen Schuhen erstreckte sich ein riesiger weicher Perserteppich mit Mustern in tiefem Rot, Violett und Gold. Er wurde durch ein Foyer gestoßen, an dessen Decke ein gewaltiger Kronleuchter funkelte.

Für den Augenblick klang Bens Sorge ein wenig ab. Vielleicht würde doch noch alles in Ordnung kommen. Er saß zwar tief in der Scheiße, aber dies hier war nicht der Albtraum, den er erwartet hatte. Keine Folterkammer des Schreckens, wie er befürchtet hatte.

Vor ihm führten geöffnete Flügeltüren in einen weiteren eindrucksvollen Raum. Seine beiden Wachen schoben ihn hinein und blieben mit ihm in der Mitte des großen, formellen Salons stehen. Die Möbel, die Teppiche, die Ölgemälde an den Wänden -  all das stank nach gewaltigem Reichtum. Nach altem Reichtum, wie er sich nur anhäufen ließ, wenn ein Vermögen schon seit einigen Jahrhunderten bestand.

Umgeben von all diesem Prunk saß hinter einem massiven, geschnitzten Mahagoni-Schreibtisch ein Mann wie ein dunkler König auf seinem Thron. Er trug einen teuren schwarzen Anzug und eine Sonnenbrille.

Bens Handflächen fingen augenblicklich an zu schwitzen, als er den Kerl anblickte. Seine Erscheinung war beeindruckend.

Breite Schultern spannten sich unter dem makellos sitzenden Jackett. Das gebügelte weiße Hemd war am Hals aufgeknöpft, aber das war, so dachte Ben, weniger ein Anzeichen für Nachlässigkeit, sondern eher für Ungeduld. Eine bedrohliche Atmosphäre lag wie eine dichte Wolke in der Luft, und Bens Hoffnung schwand wieder merklich.

Er räusperte sich. „Ich … äh … ich bin sehr froh, dass ich endlich Gelegenheit habe, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er und verfluchte das Zittern in seiner Stimme. „Wir müssen uns unterhalten … über Crimson …“

„In der Tat, das müssen wir allerdings.“ Die tiefe Entgegnung schnitt Ben das Wort ab und erweckte den Anschein von Gelassenheit. Doch hinter den dunklen Gläsern, die ihn fixierten, brodelte Wut. „Es scheint, dass ich nicht der Einzige bin, den Sie unlängst verärgert haben, Mr. Sullivan. Das ist ja eine ganz ordentliche Wunde da an Ihrem Hals.“

„Ich wurde überfallen. Der Schweinehund hat versucht, mir die Gurgel rauszureißen.“

Bens finsterer Auftraggeber grunzte offensichtlich desinteressiert. „Wer sollte denn so etwas tun?“

„Ein Vampir“, sagte Ben und wusste, wie verrückt sich das anhören musste. Aber was sich am Flussufer abgespielt hatte, war nur die Spitze eines äußerst beunruhigenden Eisbergs. „Das ist auch etwas, worüber ich mit Ihnen reden muss. Wie ich Ihnen bei meinem Anruf schon angedeutet habe, läuft da etwas ziemlich schief mit Crimson. Es … macht irgendwas mit den Leuten. Etwas Schlimmes. Es verwandelt sie in blutrünstige Wahnsinnige.“

„Selbstverständlich, Mr. Sullivan. Das ist genau das, wofür es gedacht war.“

„Was?“ Ungläubigkeit ließ Bens Magen in den unteren Darmtrakt rutschen. „Was reden Sie denn da? Ich habe Crimson selbst entwickelt. Ich weiß, wofür es gedacht ist. Es ist nur ein leichtes Amphetamin …“

„Für Menschen, ja.“ Der dunkelhaarige Mann erhob sich langsam und kam um den gewaltigen Schreibtisch herum. „Für andere, wie Sie ja bereits herausgefunden haben, ist es wesentlich mehr.“

Während er sprach, schaute er hinüber zu der geöffneten Doppeltür. Ein weiteres Paar schwer bewaffneter Wachen -  mit zotteligen, ungepflegten Haaren und grimmigen Augen wie glühende Kohle unter den buschigen Brauen -  stand an der Türschwelle. Im gedämpften Licht der Kerzen im Raum meinte Ben das Aufschimmern von Fangzähnen hinter den Lippen der Wachen zu sehen. Nervös blickte er zu seinem Auftraggeber.

„Unglücklicherweise habe ich etwas entdeckt, das mir Schwierigkeiten bereitet, Mr. Sullivan. Nachdem Sie mich angerufen hatten, haben einige meiner Mitarbeiter Ihrem Labor in Boston einen Besuch abgestattet und Ihren Computer und Ihre Aufzeichnungen gesucht. Stellen Sie sich meine Bestürzung vor, als ich erfuhr, dass sich keine Formel für Crimson finden ließ.

Können Sie mir das erklären?“

Ben hielt dem abgeschirmten Sonnenbrillenblick stand, der ihn nur eine Armeslänge entfernt fixierte. „Ich bewahre die genaue Formel nie im Labor auf. Ich finde, sie ist woanders sicherer -  bei mir.“

„Sie werden sie mir geben müssen.“ Es war kaum Klang in den Worten, keine Bewegung in dem mächtigen Körper, der vor ihm stand wie eine undurchdringliche Mauer. „Jetzt, Mr. Sullivan.“

„Ich habe sie nicht bei mir. Das ist bei Gott die reine Wahrheit.“

„Wo ist sie?“

Bens Zunge war wie gelähmt. Er brauchte einen Trumpf zum Verhandeln, und die Formel war alles, was er hatte. Abgesehen davon wollte er diese Halunken nicht Tess auf den Hals hetzen, indem er ihnen verriet, dass die Formel in der Klinik versteckt war. Er hatte nicht vorgehabt, sie dort lange aufzubewahren, nur bis er seine Optionen in diesem Schlamassel ausgelotet hatte.

Unglücklicherweise war es nun zu spät, diese Fehlentscheidung zurückzunehmen. Obwohl es für ihn oberste Priorität hatte, seinen eigenen Arsch zu retten, stand es außer Diskussion, Tess ans Messer zu liefern.

„Ich kann sie Ihnen beschaffen“, sagte Ben, „aber dafür müssen Sie mich gehen lassen. Einigen wir uns darauf wie Ehrenmänner. Wir lösen unsere Verbindung hier und jetzt, und jeder geht seiner Wege. Vergessen wir, dass wir uns überhaupt kennen.“

Ein dünnes Lächeln umspielte die Lippen seines Auftraggebers. „Versuchen Sie nicht, mit mir zu handeln. Sie sind mir unterlegen … Mensch.“

Ben schluckte schwer. Er wollte zu gern glauben, dass der Kerl eine Art wahnsinniger Vampir-Fantast war. Bloß ein Verrückter mit viel Zaster und wenig Vernunft. Nur dass er selbst gesehen hatte, wie das Crimson auf den Jungen wirkte, dem er es neulich Nacht verkauft hatte. Diese entsetzliche Verwandlung war real gewesen, so schwer es auch zu glauben war. Und die tiefe, brennende Wunde an seinem Hals war ebenfalls real.

Panik begann wild in seiner Brust zu hämmern.

„Wissen Sie, ich hab keine Ahnung, was hier vor sich geht.

Ehrlich gesagt will ich’s auch gar nicht wissen. Verdammt, ich will hier bloß in einem Stück wieder raus.“

„Ausgezeichnet. Dann sollten Sie keine Schwierigkeiten damit haben, meiner Aufforderung nachzukommen. Geben sie mir die Formel.“

„Ich sagte Ihnen doch schon, dass ich sie nicht bei mir habe.“

„Dann werden Sie sie noch einmal neu erstellen müssen, Mr.

Sullivan.“ Ein knapper Wink ließ die beiden bewaffneten Wachen den Raum betreten. „Ich habe mir erlaubt, Ihre Laboreinrichtung hierherbringen zu lassen. Alles, was Sie benötigen, ist vorhanden, einschließlich einer Testperson für das fertige Produkt. Meine Mitarbeiter werden Ihnen den Weg zeigen.“

„Warten Sie!“ Die Wachen stießen ihn auf die Tür zu. Ben warf einen hastigen Blick über die Schulter. „Sie verstehen nicht.

Die Formel ist … sehr komplex. Ich habe sie mir nicht eingeprägt. Sie richtig hinzukriegen könnte mehrere Tage dauern …“

„Sie haben nicht mehr als zwei Stunden, Mr. Sullivan.“

Brutale Hände packten ihn unnachgiebig und schubsten ihn auf die Treppe ins Untergeschoss, das ihm unheilvoll entgegengähnte wie schwarze, endlose Nacht.

 

Chase schnallte sich seine Waffen um und überprüfte ein letztes Mal seinen Munitionsvorrat. Er hatte eine Pistole, die mit herkömmlichen Patronen geladen war. Eine weitere Waffe enthielt an der Spitze gekerbte Spezial-Titankugeln, die ihm die Krieger ausdrücklich zu dem Zweck gegeben hatten, Rogues damit zu töten. Er hoffte aufrichtig, sie nicht einsetzen zu müssen, aber wenn er ein Dutzend wilder Vampire wegblasen musste, um an seinen Neffen zu kommen, würde er das verdammt noch mal tun.

Er nahm seinen dunklen Mantel vom Haken neben der Tür und trat hinaus ins Treppenhaus. Elise stand ganz still da, fast wäre er in sie hineingerannt.

„Sterling … hallo. Gehst du mir aus dem Weg? Ich hatte gehofft, ich könnte mit dir reden.“ Ihre fliederfarbenen Augen musterten ihn mit einem raschen Blick. Sie runzelte die Stirn, als sie das Arsenal von Messern und Schusswaffen entdeckte, das er um die Hüften und quer über die Brust trug. Er fühlte deutlich ihre Besorgnis und roch die plötzliche, bittere Note von Furcht -  gemischt mit ihrem zarten, eigenen Duft. „So viele schreckliche Waffen. Ist es so gefährlich da draußen?“

„Mach dir darüber keine Gedanken“, sagte er. „Bete einfach weiter für Camden, dass er bald wieder nach Hause kommt. Um den Rest kümmere ich mich.“

Sie nahm das Ende ihrer scharlachroten Witwenschärpe und ließ den Seidenstoff beiläufig durch ihre Finger gleiten. „Eigentlich wollte ich genau darüber mit dir reden, Sterling. Ein paar von den Frauen und ich haben darüber gesprochen, was wir noch für unsere vermissten Söhne tun können. Gemeinsamkeit macht stark, also haben wir gedacht, dass wir uns vielleicht zusammentun sollten … wir könnten tagsüber im Hafengebiet oder in den alten U-Bahn-Schächten nach ihnen suchen. Wir können an allen Orten nachsehen, wo unsere Söhne Schutz vor der Sonne gesucht haben könnten …“

„Ausgeschlossen! Auf gar keinen Fall.“

Chase hatte nicht vorgehabt, sie so abrupt abzuwürgen. Aber die Vorstellung, sie könnte tagsüber die Schutzzone des Dunklen Hafens verlassen, um sich in die schlimmsten Gegenden der Stadt zu begeben, ließ sein Blut gefrieren. Solange die Sonne da war, war sie außerhalb seines Schutzes und dem aller anderen Stammesmitglieder. Selbst wenn die Rogues aus denselben Gründen keine Gefahr bedeuteten, bestand immer das Risiko, ihren Lakaien in die Arme zu laufen.

„Es tut mir leid, aber das kommt nicht infrage.“

Sie machte vor Überraschung große Augen. Dann sah sie schnell nach unten und nickte höflich, doch er konnte spüren, dass sie sich unter der Maske der Schicklichkeit sträubte. Das Stammesgesetz gab Chase als ihrem nächsten Angehörigen - wenn auch angeheiratet -  das Recht, ihr tagsüber eine Ausgangssperre aufzuerlegen. Das war eine altertümliche Maßnahme, die bereits seit der Entstehung der Dunklen Häfen vor beinahe tausend Jahren existierte. Chase hatte bisher noch nie davon Gebrauch gemacht. Auch wenn er sich dabei wie ein Arschloch fühlte, konnte er nicht zulassen, dass sie ihr Leben riskierte, während er machtlos in der Dunkelheit saß.

„Glaubst du, mein Bruder würde das, was du vorhast, billigen?“, fragte Chase und wusste, dass Quentin einer solchen Idee niemals zugestimmt hätte; nicht einmal, um das Leben seines Sohnes zu retten. „Du hilfst Camden am besten, indem du hier bleibst, wo ich dich in Sicherheit weiß.“

Elise hob den Kopf, und in ihren fliederfarbenen Augen lag ein entschlossenes Funkeln, das er noch nie bei ihr gesehen hatte. „Camden ist nicht das einzige Kind, das vermisst wird.

Kannst du sie alle retten, Sterling? Können die Krieger des Ordens sie alle retten?“ Sie seufzte leicht. „Niemand hat Jonas Redmond gerettet. Er ist tot, wusstest du das? Seine Mutter kann es fühlen. Immer mehr von unseren Söhnen verschwinden, sterben jede Nacht, und wir sollen hier herumsitzen und auf schlechte Nachrichten warten?“

Chase spürte, wie sich sein Kiefer verkrampfte. „Ich muss los, Elise. Du kennst meine Antwort. Es tut mir leid.“

Er ging an ihr vorbei, schlüpfte in den Mantel und eilte nach draußen. Er wusste, dass sie ihm folgte; ihr weißer Rock raschelte leicht hinter ihm bei jedem ihrer schnellen Schritte, aber Chase ging weiter. Er zog seine Schlüssel aus der Tasche, schloss den Haupteingang des Gebäudes auf und drückte dann die Fernbedienung seines silbernen Lexus-Geländewagens, der draußen in der Auffahrt stand. Der Wagen machte ein zwitscherndes Geräusch, und die Lichter blitzten als Rückmeldung auf, aber Chase erkannte, dass er nicht so bald wegkommen würde.

Ein schwarzer Range Rover versperrte die Auffahrt und wartete in der Dunkelheit. Der Motor lief. Die Fenster waren dunkler getönt als erlaubt, aber Chase brauchte nicht hineinzusehen, um zu wissen, wer drin saß. Er konnte Dantes Wut durch Stahl und Glas hindurch spüren. Sie rollte direkt auf ihn zu wie eine frostige Woge.

Der Krieger war nicht allein. Er und sein Begleiter, dieser eiskalte Typ namens Tegan, stiegen aus dem Wagen und kamen zur Rasenfläche herübergeschlendert. Ihre Gesichter wirkten äußerst gelassen, aber die Drohung, die von den beiden großen Männern ausging, war unmissverständlich.

Chase hörte, wie Elise hinter ihm nach Luft schnappte. „Sterling …“

„Geh wieder nach drinnen“, befahl er und behielt die beiden Krieger im Auge. „Sofort, Elise. Es ist alles in Ordnung.“

„Was ist los, Sterling? Warum sind die hier?“

„Tu einfach, was ich gesagt habe, verdammt noch mal! Geh zurück ins Haus. Es wird alles gut.“

„O, da wäre ich nicht so sicher, Harvard.“ Dante kam auf ihn zu. Die tückischen gebogenen Klingen an der Hüfte des Kriegers glommen bei jedem Schritt im Mondlicht auf. „Ich würde sagen, im Moment sieht die Lage so beschissen aus, wie sie nur sein kann. Was wir dir verdanken. Bist du gestern Nacht verloren gegangen, oder was? Vielleicht hast du mich ja nur missverstanden, als ich dir sagte, was du mit diesem Aas von Dealer machen sollst -  war es so? Ich hatte dir aufgetragen, ihn ins Quartier zu schaffen. Aber du dachtest vielleicht, ich hätte gemeint, lass den Scheißkerl einfach laufen?“

„Nein. Es gab kein Missverständnis.“

„Was ist mir dann entgangen, Harvard?“ Dante zog eine seiner Klingen aus der Scheide; der Stahl machte ein singendes Geräusch wie leises Flüstern. Als Dante sprach, sah Chase die Spitzen seiner Fangzähne. Ein leuchtender, bernsteinfarbener Blick ruhte auf ihm wie ein Zwillings-Laser. „Fang lieber an zu reden. Ich habe nämlich überhaupt kein Problem damit, hier auf der Stelle vor den Augen dieser Frau die Wahrheit aus dir herauszuschneiden.“

„Sterling!“ Elise schrie auf. „Lasst ihn in Ruhe!“

Chase drehte rasch den Kopf und sah gerade noch, wie sie die Treppen hinuntereilte, die zur Straße führten. Sie kam jedoch nicht weit. Tegan bewegte sich wie ein Geist, und Elises menschliche Gliedmaßen waren der Vampirgeschwindigkeit nicht ebenbürtig. Der Krieger packte sie um die Taille und hielt sie fest, wie sehr sie auch strampelte und sich wehrte.

Wut flammte in Chase auf wie trockener Zunder, an den man ein angezündetes Streichholz hält. Seine Fangzähne fuhren sich aus und sein Blickfeld schärfte sich, als seine Pupillen durch die Verwandlung zu Schlitzen wurden. Er brüllte auf, bereit, es mit beiden Kriegern aufzunehmen, schon allein, weil einer von ihnen gewagt hatte, Elise zu berühren.

„Lass sie gehen“, fauchte er. „Verdammt, sie hat damit nichts zu tun!“

Er versetzte Dante einen Stoß, doch der rührte sich nicht vom Fleck.

„Immerhin haben wir jetzt deine volle Aufmerksamkeit, Harvard.“ Dante schubste ihn zurück. Es war, als träfe ihn ein Güterzug unter Volldampf. Chase’ Füße hoben vom Boden ab, sein Körper wurde von Dantes Stoß durch die Luft geschleudert. Die Ziegelsteinfassade des Gebäudes unterbrach seine Flugbahn, als Chase hart mit dem Rückgrat dagegen schlug.

Dantes riesige Fangzähne tauchten direkt vor seinem Gesicht auf, seine Augen brannten sich in Chase’ Schädel. „Wo ist Ben Sullivan? Was zum Henker führst du wirklich im Schilde?“

Chase warf einen Blick zu Elise hinüber. Es war ihm unendlich zuwider, dass sie diese brutale Seite ihrer beider Welt miterleben musste. Er wollte nur, dass es für sie aufhörte. Er sah die Tränen, die ihre Wangen hinabliefen, sah die Angst in ihren Augen, während Tegan sie eisern festhielt, kalt und gefühllos, sie an all den tödlichen Stahl und das Leder drückte, das seinen riesigen Körper umspannte.

Chase fluchte ausgiebig. „Ich musste den Menschen gehen lassen. Ich hatte keine Wahl.“

„Falsche Antwort“, knurrte Dante wütend und setzte Chase seine höllische Klinge unters Kinn.

„Eingesperrt in eurem Quartier nützt mir der Crimson-Dealer nichts. Ich brauche ihn auf der Straße. Er muss mir jemanden suchen helfen -  meinen Neffen. Ich habe ihn gehen lassen, damit er mir hilft, Camden zu finden, den Sohn meines Bruders.“

Dante blickte finster drein, aber die Klinge senkte sich ein wenig.

„Was ist mit den anderen, die verschwunden sind? Hat Sullivan alle diese Kids mit seinen Drogen gefüttert?“

„Ich kümmere mich darum, Camden zurückzubekommen.

Er war vom ersten Tag an meine eigentliche Mission.“

„Du hast uns belogen, Mistkerl“, zischte der Krieger.

Chase begegnete dem anklagenden, wütenden Blick. „Hätte der Orden mich denn unterstützt, wenn ich eure Hilfe erbeten hätte, um einen vermissten Jugendlichen aus dem Dunklen Hafen zu finden?“

Dante fluchte, leise und zornig. „Das wirst du nie wissen, oder?“

Chase durchdachte es erneut. Er begann einiges vom Kodex der Krieger zu verstehen. Er hatte aus erster Hand erfahren, dass sie beiliebe nicht ohne Ehre waren. Ihre rücksichtslosen Methoden und ihr kämpferisches Können machten sie zu einer geheimnisvollen und tödlichen Macht -  innerhalb des Stammes und sogar unter der Menschheit. Wenn es erforderlich war, konnten sie gnadenlose Mörder sein. Dennoch ahnte Chase, dass jeder Einzelne von ihnen im Herzen ein besserer Mann war als er selbst.

Dante gab ihn abrupt frei und ging hinüber zu dem Range Rover. Tegan ließ Elise ebenfalls los, hielt aber seinen harten grünen Blick weiter auf sie gerichtet, als sie ängstlich von ihm wegtaumelte und sich die Stelle rieb, wo er sie berührt hatte.

„Steig in den Wagen, Harvard“, forderte Dante ihn auf. Er deutete auf die offene hintere Tür. Ein Blick sagte Chase deutlich, dass der Teufel los wäre, wenn er nicht kooperierte. „Wir fahren zurück zum Quartier. Vielleicht kannst du Lucan überzeugen, dass wir dich am Leben lassen.“

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